Während der Corona-Pandemie hat sich das Recruiting zwangsläufig ins Digitale verlagert. Nun – da beinahe keine Reglementierungen mehr bestehen – wäre das Vorstellungsgespräch vor Ort in Person wieder möglich. Doch ist das überhaupt noch die gängige Norm? Ist Recruiting komplett analog überhaupt noch möglich? Und welche Vorteile bieten die jeweiligen Varianten?
Wo qualifizierte Bewerber zu finden sind
Die Digitalisierung ist – nach modernem Maßstab – bereits im ersten Schritt des Bewerbungsprozesses unumgänglich. Während Jobsuchende vor einigen Jahrzehnten noch gedruckte Stellenanzeigen und Zeitungsannoncen konsultierten, reicht heute das Scrollen durchs World Wide Web. Die Möglichkeiten sind schier unerschöpflich: Neben Recruiting-Websites wie „Indeed“ oder „Monster“ sind aus Bewerbersicht vor allem Social Media-Plattformen wie LinkedIn oder Xing attraktiv. Besonders LinkedIn gewinnt zunehmend an Popularität. Aus Unternehmersicht lassen sich proaktiv Bewerber kontaktieren, deren Profile sich vorab mit den eigenen Anforderungen abgleichen lassen oder auch eigene Stellenausschreibungen erstellen. Wer das Angebot der Plattform darüber hinaus nutzt, profitiert laut gründer.de besonders von einem weiteren Vorteil: Die Markenbekanntheit der eigenen Firma steigt. Schon hier zeigt sich also deutlich: Komplett analoges Recruiting ist vor allem dann unvorteilhaft, wenn eine junge Zielgruppe gefragt ist.
Persönlicher Vorteil
Sollte das Bewerberprofil mit den Anforderungen des Unternehmens übereinstimmen, kommt es im besten Fall – für beide Seiten – zu einem Vorstellungsgespräch. Doch wie läuft dieses nun ab? Was spricht für, was gegen ein erstes Kennenlernen im Digitalen? Die Vorteile scheinen zunächst klar: Flexibilität sowie ein geringer Zeit- und Kostenaufwand für beide Seiten. Gerade, wenn der Bewerber nicht in der gleichen Stadt wohnt, in der sich das Unternehmen befindet, entfallen die Anfahrt und mögliche Fahrtkosten. Gerade für ein erstes Kennenlernen scheint das eine rationale Lösung zu sein. Allerdings: Der erste Eindruck zählt. Und der ist einer Studie zufolge deutlich positiver im persönlichen Kennenlernen.
In dieser simulierten Psychologinnen und Psychologen 114 Vorstellungsgespräche mit Studierenden. Das Ergebnis: Die Hälfte der digital interviewten Personen schnitt schlechter ab. Ihre Bewertungen fielen negativer aus. Der Grund: Während im Bewerbungsgespräch die Präsentation der eigenen Stärken sowie das Neutralisieren der Schwächen zählen, kommt es ebenso auf die nonverbalen Kommunikation an. Dazu zählen beispielsweise Körperhaltung und Gestik, die sich über den Bildschirm deutlich schlechter – wenn überhaupt – vermitteln lassen.
„Dieselben Erfahrungen haben wir auch beim Münchener Verein gemacht. Man merkt, dass selbst bei höheren Fallzeiten in der Corona-Pandemie die Bewerberinnen und Bewerber sehr dankbar waren, dass wir ihnen (in einem maximal sicheren Rahmen) ein persönliches Gespräch ermöglicht haben“, sagt Anna Holweck, Recruiterin beim Münchener Verein.
Autor der Studie und Leiter der Abteilung Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Ulm der Studie, Klaus Melchers, erklärt dem Business Insider hierzu:
„In der Psychologie verwenden wir dafür den englischen Begriff Impression Management. In digitalen Bewerbungsgesprächen finden sie weit seltener Anwendung, als im persönlichen Gespräch. Und das hat schwerwiegende Auswirkungen: Digital interviewte Personen werden in der Studie etwa im Hinblick auf ihre Leistung negativer bewertet als diejenigen, die ein analoges Bewerbergespräch durchliefen.“
Vor allem ohne den direkten Blickkontakt gelang es kaum, eine starke Präsenz aufzubauen. Wer also die Möglichkeit hat, sollte sich für das persönliche Kennenlernen entscheiden, um das gegenüber auch realistisch einschätzen zu können. Erst dann wissen die Beteiligten auch, ob ein zukünftiges Zusammenarbeiten mit Remote-Anteil wie beispielsweise durch Homeoffice funktionieren kann.
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