In Belgien hat sich die Regierung auf eine umfassende Arbeitsmarktreform geeinigt. Teil des Gesetzentwurfes ist die Vier-Tage-Woche. Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer, die diese Lösung in Anspruch nehmen wollen, müssen die Arbeitsstunden des fünften Tages auf die restlichen vier verteilen. Das würde bei einer 40-Stunden-Woche bedeuten, dass sie an vier Tagen jeweils 10 Stunden arbeiten müssen. Zusätzlich sollen die belgischen Beschäftigten die Möglichkeit erhalten, ihre Arbeitszeit in einem zweiwöchigen Rhythmus frei einteilen zu können. Bleiben wir also bei der 40-Stunden-Woche, könnten in der ersten Woche 48 Stunden und entsprechend in der zweiten Woche 32 Stunden gearbeitet werden.
Tests in Island erfolgreich
Nicht nur in Belgien beschäftigt man sich auf höchster Regierungsebene mit den Veränderungen die die moderne Arbeitswelt – sicherlich auch durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie befeuert – mit sich bringt. In Island wurden bereits Studien zwischen 2015 und 2019 durchgeführt, die jeweils zu dem Ergebnis kamen, dass sich eine Arbeitszeitverkürzung bei gleichbleibendem Gehalt positiv für alle Beteiligten auswirke. In der Zusammenfassung heißt es beispielsweise, dass sich das Wohlbefinden der Mitarbeiter dramatisch verbessert habe. Um das anfallende Pensum auch in kürzerer Zeit zu bewältigen, wurden Arbeitsabläufe optimiert und die Zusammenarbeit und Kooperation unter Kollegen intensiviert. Dabei seien Produktivität und Leistungserbringung gleich geblieben beziehungsweise gestiegen. Alle Studienteilnehmer empfanden die zusätzlich gewonnene Freizeit als sehr zuträglich für ihr Privat- und Familienleben. Aufgrund dieser positiven Studienergebnisse haben die isländischen Gewerkschaften entsprechende Arbeitszeitmodelle verhandelt und die Basis geschaffen, dass inzwischen 86 Prozent der gesamten isländischen arbeitenden Bevölkerung zumindest das Recht auf verkürzte Arbeitszeiten hat.
Praktische Umsetzung bereits auch in Deutschland
Auch hierzulande gibt es bereits Unternehmen, die auf verkürzte Arbeitszeiten setzen. So arbeiten die Angestellten der Personalvermittlung Blackbird Collective aus Berlin an vier Tagen einer Woche insgesamt 32 Stunden. Freitags ruhen die Geschäfte – ansonsten kann sich jeder seine Arbeitszeit einteilen, wie er möchte. Die Erfahrungen der Berliner mit diesem Modell sind ebenfalls sehr positiv. Seit Unternehmensgründung im Jahr 2015 haben nur drei Beschäftigte das Unternehmen verlassen – eine für die Branche sehr geringe Fluktuation. Erwähnenswert sei auch das Thema Krankenstände: Im vergangenen Jahr gab es bei 18 Mitarbeitern lediglich eine Krankschreiben aufgrund eines Insektenstiches – auch diese Zahlen sprechen für das Modell. Laut Geschäftsführer Artur Kos stößt sein Konzept nicht nur bei den eigenen Beschäftigten auf regen Zuspruch. „Viele Kunden betreuen wir seit Jahren und wir bekommen viele positive Rückmeldungen. Etliche sehen das Blackbird Collective als eine Art Avantgarde für eine neue Arbeitswelt, die sie gern unterstützen.“ Selbst Arbeitnehmer, die durch die Vermittlung von Blackbird Collective eine neue Stelle gefunden haben, zeigen Interesse. „Wir erleben im Gegenteil, dass viele Fachkräfte, die wir unseren Kunden vermitteln, mindestens genauso gern bei uns arbeiten würden wie dort. Wir erhalten viele solcher Anfragen.“ Ganz offensichtlich eine erfolgreiche Umsetzung des Vier-Tage-Wochen-Ansatzes.
Beispiel macht Schule?
Ist es also denkbar, dass sich auch in Deutschland – vielleicht sogar flächendeckend – die Vier-Tage-Woche durchsetzt? Zumindest findet das Modell unter den Deutschen viele Anhänger. Laut einer Forsa-Umfrage von RTL und NTV würden es 71 Prozent der Befragten befürworten. Besonders die 30 bis 44 Jährigen und jene mit höherem Bildungsabschluss sprechen sich für die verkürzte Arbeitszeit aus. Allerdings stößt das Modell bei Arbeitgebern weniger auf Gegenliebe – insbesondere wenn es um das Modell „Vier Tage bei gleichbleibender Bezahlung“ geht. In der letzten Tarifrunde der Gewerkschaft IG Metall wurde das Ganze von Arbeitgeberseite als „pures Gift“ und „gefährlich für die Industrie“ bezeichnet. Von einer flächendeckenden Umsetzung der Vier-Tage-Woche im deutschen Arbeitsmarkt ist also – zumindest in naher Zukunft – vorerst nicht auszugehen.
Und was bedeutet das für Selbständige?
Betrachtet man die Vier-Tage -Woche nun aus dem Blickwinkel Geschäfts- und Gewerbetreibender, kommen noch einmal ganz andere Fragen auf. Konzentrieren sich die intensiveren, gegebenenfalls persönlichen Kundenkontakte dann auf den freien Freitag? Das allerdings könnte sich auch positiv auswirken: die Kunden haben mehr Ruhe und können sich mehr Zeit nehmen, weil sie nicht zurück zur Arbeit, ins Büro hetzen müssen. Eventuell könnte sich daraus ein sinnvoller „Sprechtag“ ergeben und administrative Dinge werden an den anderen Tagen erledigt. Wendet der Selbständige die Vier-Tage-Woche auf sich selbst an, kann dies zwei Seiten haben: positiv könnte sich der gewonnene freie Tag natürlich auf Gesundheit und Work-Life-Balance auswirken, immerhin bliebe dann mehr Zeit für Familie, Sport, Erledigungen et cetera. Die Kehrseite der Medaille wären Umsatzeinbußen und eventuell verärgerte Kunden, die die Dienstleistung, Beratung oder dergleichen hätten in Anspruch nehmen wollen. Letztlich aber sind all diese Spekulationen das, was sie eben sind: Mutmaßungen, denn noch hat sich hierzulande eine Vier-Tage-Woche nicht wirklich etabliert.
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